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Weltenbummler: Eine Tigerente in Sibiren

Lukas, Daniel D., und Michael sind mit der Tigerente weit gereist. Heute sind die drei zurück im PS.SPEICHER
In meinem Beitrag "Adler, Hansa, Borgward, Lloyd & Co." habe ich euch beschrieben, wie faszinierend ich es finde, die Geschichten der Fahrzeuge zu kennen, die im PS.SPEICHER ausgestellt sind. Leider ist bei vielen der 2.500 Exponaten nicht bekannt oder nicht mehr nachvollziehbar, was sie schon alles „gesehen“ und erlebt haben. Dabei ist es besonders die Wiedersehensfreude von Menschen, die mit ihren Fahrzeugen Emotionen verbinden, die mich jedes Mal berührt. So wie bei unserem Ehrenaktiven Friedel beim Abholen „seines" LF 24 und dem Treffen des WartburgWilly“ und des Opel Blitz mit ihren früheren Weggefährten. Diese Begegnungen haben mir die Exponate nähergebracht und sie mich mit anderen Augen sehen lassen.

Das ein oder andere Fahrzeug mit einer bekannten Geschichte, steht aber durchaus im PS.SPEICHER und den Depots. Drei dieser Fahrzeuge möchte ich mich genauer widmen und sie mir und euch näherbringen. Also beginne ich zu recherchieren und, so weit möglich, ihre Vorbesitzer zu befragen. Im Fokus stehen unser Ford Taunus 15 M, auch bekannt unter dem Namen „Weltkugel“, den ich selbst bereits für Fotoaufnahmen steuern durfte. Mit ihm hat PS.SPEICHER-Stifter Karl-Heinz Rehkopf an der Mille Miglia in Italien teilgenommen.

Nicht fehlen darf in dem Trio unsere Leihgabe „Hudo“, der Hudson Greater Eight der verstorbenen Berlinerin Heidi Hetzer. Mit diesem Fahrzeug ging die damals 77-jährige Rennfahrerin von 2014 bis 2017 auf Weltreise.

Weit gereist ist auch unsere Citröen 2CV Tigerente, die den Auftakt macht. Die Dauerleihgabe von Lukas Hoffmann, Michael Gallner, Daniel Demele und Daniel Schmelzer ist in der Weltenbummlerecke des Depot Kleinwagen beheimatet.

Die Reise, die unsere Citröen 2CV unter den 5.114.966 produzierten Fahrzeugen einzigartig macht, beginnt 2004. Die Tigerente bricht mit ihrem „Artgenossen" einem "Frosch" (ebenfalls eine Citröen 2CV, aber im grünen Blechgewand) und vier Heidelberger Studenten nach Sibirien auf. Mit der grünen Frosch- und der schwarz-gelb-getigerten Ente machen sich Lukas, Daniel D., Daniel S. und Michael auf zu einer „Fahrt ins Blaue“. Wie weit sie kommen, wissen die Heidelberger zu dem Zeitpunkt nicht. Nur eins ist sicher, ihre Reise soll sie Richtung Russland führen, denn alle vier haben eine Affinität zu dem Land.
 

Aus drei mach zwei und dann geht’s los

Bevor sie mit ihrem Abenteuer beginnen können, ist erstmal restaurieren angesagt. Mehrere Monate bauen die vier Freunde die Motoren auseinander, schweißen und flexen und machen aus den ursprünglich drei „Entenleichen“, die Michael Gallner auf seinem Hof stehen hat, zwei fahrbereite Citröen 2CV. Mehr oder weniger fahrbereit, denn die ganze Reise begleitet die jungen Männer die Sorge um den baufälligen "Frosch". Und auch die Tigerente trägt immer mehr Blessuren davon. „Entenmotor starten“ (durch Kurzschließen der Kabel) ist nach dem Verlust des Zündschlüssels nur eines ihrer Probleme.

Doch ständige „Wehwehchen“ hin oder her, die beiden Enten legen Kilometer um Kilometer zurück und bringen ihre Fahrer durch Rumänien, die Ukraine und Kasachstan, bis nach Russland. Dabei verändern die Kultautos mehr und mehr ihre Optik. Die Karosserie der Tigerente zeugt als Logbuch noch heute von dieser unglaublichen Reise. Das beweisen unzählige Unterschriften. Der Grund: die vier Studenten können an den Grenzen und bei den häufigen Polizeikontrollen kein Schmiergeld zahlen. Daher lassen sie Polizisten und Grenzer kurzerhand auf den Enten unterschreiben. Auch Menschen mit denen sie besondere Begegnungen haben, dürfen den Stift zücken und schließlich jeder, der will.

Die Enten aversieren in Russland zu echten Stars. Radiosender und sogar das Fernsehen werden auf die ungewöhnlichen Touristen aufmerksam. Ein russischer Geschäftsmann bietet sogar 25.000 Dollar für die Tigerente. Doch Lukas, Michael und die beiden Daniels lehnen ab und fahren weiter. Immer weiter, bis zum Baikalsee.
 

26.000 Kilometer in sechs Monaten

Dass sie am tiefsten See der Welt beschließen die Heimreise anzutreten, liegt nicht an den reparaturbedürftigen beiden 2CV, sondern daran, dass den vier Studenten das Geld ausgeht. Nach einem halben Jahr und 26.000 Kilometern Wegstrecke kommen sie in Deutschland an. Im Gepäck haben sie die Erinnerungen an eine aufregende Reise. Nicht immer verlief die Reise friedlich. Auch gefährliche Situationen, wie ein nächtlicher Überfall und Jungs die sich mit ihnen prügeln wollten, gehörten dazu. Überwogen haben aber die schönen Momente mit spontanen Einladungen, hilfsbereiten Menschen und einer untrennbaren Freundschaft.

Von einem Weggefährten müssen sich die Reiserückkehrer allerdings bald trennen. Der baufällige "Frosch" endet als Teilespender. Die Tigerente tuckert noch eine Weile weiter, bis sie bei Lukas Vater in der Garage parkt. Für "zwei, drei Winter", so der Plan. Am Ende sind es elf Jahre. Dann soll die Tigerente  weg. Doch wohin…? Sie verschrotten zu lassen kommt nicht in Frage! Also startet Lukas den Aufruf „Tigerente sucht neues Zuhause“ bei „Spiegel online“.

Viele Leser haben ein Herz für die Ente und wollen sie bei sich aufnehmen. Sogar in Australien ist ein Platz für sie frei. Doch nach zahlreichen Verweisen auf den PS.SPEICHER, suchen die jungen Männer unser Museum als neue Heimat für die Tigerente aus. Seit Januar 2019 ist sie eines der 2.500 Exponate. Zumindest bis sie mit Lukas, Daniel D., Daniel S. und Michael die Reise wiederholt. Das wollen die vier nach der Rente auf jeden Fall.

So lange musste die Tigerente aber nicht auf ein Wiedersehen mit ihren Besitzern warten. Im Oktober liest Lukas bei uns in der PS.Halle aus seinem Roman „Wodka und Tigerente“ vor. Zwei seiner Freunde begleiten ihn. Natürlich ist bei dieser Gelegenheit auch die Romanheldin auf der Bühne mit dabei. Eine tolle Gelegenheit für mich, Lukas zu dem Fahrzeug zu befragen. Was ich bei meinem Interview mit ihm über die Tigerente und ihre unglaubliche Reise erfahren habe, lest ihr weiter unten.


Interview mit Lukas Hoffmann

Frage: Janoschs Tigerente ist nach Panama gereist, du und deine Freunde haben Russland als Reiseziel ausgewählt. Wer von euch kam auf die Idee, das Blechgewand der beiden Enten als Forsch und Tigerente zu gestalten und warum?
 
Lukas Hoffmann: Mein Freund Michael hatte bei sich zuhause drei Entenwracks herumstehen und er warf auch die Frage in den Raum, was wir damit machen könnten. Einmal ausgesprochen, entwickelte sich nach und nach die Idee, dass wir daraus zwei Enten formen. Die eine der beiden Enten war grün, also eine „Froschente“. Wir sind alle Kinder der 1980er Jahre und kannten den „Tigerentenclub“, daher war der nächste Gedankensprung klar: wir brauchen eine Tigerente. So haben wir die Ente, die ursprünglich blau war, in Tigerentenfarben überstrichen.
 
Frage: „Ständig war etwas kaputt“, hast du im „Spiegel-Artikel“ erzählt. Die Reparaturen habt ihr unterwegs mit "Learning by doing" gelöst. Aus drei Fahrzeugen zwei zu machen ist nicht alltäglich, noch dazu ohne Fachkenntnisse. Hattet ihr im Vorfeld fachmännische Hilfe?
 
Lukas Hoffmann: Wir haben uns viel selbst beigebracht. Am Auto steht ja noch "Lehmann und Stumpf". Volker Stumpf ist ein guter Freund von uns. Er ist ein absoluter „Entenfreak“ und hat Michael und Daniel beim Restaurieren der ersten Ente viel geholfen. Das meiste war ausprobieren und selber machen, schrauben und nachlesen, wie es funktioniert.
 
Frage: Die Karosserien der Enten dienten als Logbücher der Reisen. Erinnerst du dich, wer als erster unterschrieben hat und was es war?
 
Lukas Hoffmann: Wir haben als erstes eine E-Mail- Adresse mit dem Namen „Fitzcarraldo“ auf die Karosserie geschrieben. Diese Filmfigur von Werner Herzog hat uns sehr fasziniert. Dass Fitzcarraldo in Südamerika versucht mit einem Schiff den Berg zu überwinden, gefiel uns. Die Reise mit den Enten war ein ähnlich wahnsinniges Unterfangen.
 
Frage: Die Medien (auch ein russischer TV Sender) haben über euch und die Fahrzeuge berichtet. Kannst du dir erklären, warum die beiden Enten in Russland wie Stars gefeiert wurden?
 
Lukas Hoffmann: Ich glaube, viele Menschen, denen wir begegnet sind,  haben sie zum ersten Mal gesehen. Eine 2CV Ente kam im russischen Straßenbild nicht vor. Und dann fahren zwei Autos vor, in denen vier unrasierte, barfüßige Typen sitzen..
Ein weiterer Punkt war sicher die große Technikbegeisterung in Russland. Ich kann es mir so erklären, dass sie sich selber viel behelfen müssen. Sie fanden es faszinierend, dass wir in unseren kleinen Blechkisten soweit gekommen sind und waren daran interessiert, welche Motoren die Enten haben.

Einmal hatten wir eine Situation im Osten Sibiriens, da ist uns der Anlasser kaputtgegangen. Ein Mann, der dort gelebt hat, hat die ganze Nacht durchgearbeitet, um den Anlasser zu reparieren, obwohl er ihn nicht kannte. Er hat es geschafft, so groß war seine Begeisterung für die Technik.
 
Frage: Auf einer Russischen Party wurden euch 25.000 Euro für den Verkauf der Tigerente geboten. Ihr habt das Angebot ausgeschlagen. Ihr wart damals alle vier Studenten. Da sitzt das Geld ja bekanntlich nicht so locker. Haben du und deine Freunde wirklich keinen Moment gezögert, dass Angebot anzunehmen?
 
Lukas Hoffmann: Die Enten waren ja mit der Reise verbunden. Wenn wir gesagt hätten, wir verkaufen ein Auto, dann wäre das ganze Reiseprojekt in diesem Moment zu Ende gewesen. Wir sind bis heute froh, dass die komplette Reise ein Teil unserer Historie ist.
 
Frage: Am Baikalsee habt ihr Väter mit ihren Söhnen getroffen, die dort waren um die Vater-Sohn-Beziehung zu stärken. Ihr vier ward 26.000 Kilometer / 6 Monate auf engstem Raum zusammen. Was hat diese Zeit mit eurer Freundschaft gemacht?
 
Lukas Hoffmann: Heute, 17 Jahre nach der Reise, sind drei von vier Vortragenden im PS.SPEICHER. Mit dem vierten, unserem Freund Daniel Schmelzer, habe ich gestern Abend noch telefoniert. Er kann heute leider nicht dabei sein, weil er eine Wohnung in Hamburg übernimmt. Auch er wäre natürlich gerne hier gewesen. Ich glaube, dass eine Reise auf der man so eng zusammen ist und sich nicht zerstreitet, einen ein Leben lang zusammenschweißt. Wir wissen, dass wir uns in schwierigen Situationen immer aufeinander verlassen können, weil wir das schon oft erlebt haben.

Frage: Welche Situation war die herausforderndste auf der Reise für dich persönlich?
 
Lukas Hoffmann: Das herausforderndste für mich war, dass ich zu dem Zeitpunkt am besten Russisch gesprochen habe und oft die Verhandlungen mit allen möglichen „Verhandlungspartnern“ führen musste und wir hatten viele. Neben Polizisten, waren es Familien die uns eingeladen haben, Interessierte, Jungs die sich mit uns kloppen wollten und zwielichtige Business-Männer. Wir hatten ständig Situationen, wo wir kommunizieren mussten.
 
Frage: Was war das schönste Erlebnis während der Zeit?
 
Lukas Hoffmann: Ich fand es unglaublich in der kasachischen Steppe zu stehen und den riesigen Sternenhimmel über mir zu sehen. Bei so viel Himmel merkt man schnell, wie klein und unwichtig man als Mensch ist.
 
Frage: In deinem Roman geht es um Alex und seinen Kumpel Totti, um Freundschaft, Liebe und die Suche nach der eigenen Identität. Wieviel Lukas steckt in Alex?
 
Lukas Hoffmann: Wenn ein Autor einen Roman schreibt, bekommt er immer die Frage gestellt, wieviel ist echt, wieviel ist Fiktion. Es gibt zwei Möglichkeiten zu antworten. Die ironische Antwort, die ich selbst oft gehört habe, lautet: alles ist echt, oder alles ist Fiktion. Die zweite Möglichkeit diese Frage zu beantworten: In jedem Roman steckt immer ein bisschen was vom Autor und ein bisschen was ist erfunden. So ist es auch bei mir.
 
Frage: Die grüne Ente ist nach der Rückkehr zum „Teilespender geworden“. Ist es dir schwergefallen, dich von der Ente zu trennen und sie auszuschlachten zu lassen?
 
Lukas Hoffmann: Ich habe davon ehrlich gesagt gar nicht mehr so viel mitbekommen, weil sie in Baden-Württemberg bei Michael stand. Er hat sich um sie gekümmert. Es war schon ein Punkt, über den wir länger gesprochen haben, was nun aus der Ente wird. Es war aber nicht so schlimm, weil wir die Tigerente noch hatten, die uns an die Reise erinnert hat.
 
Frage: Dein Hilferuf „Tigerente sucht neues Zuhause“ bei Spiegel.Online war bis ans „Ende der Welt“ zu hören. Jemand aus Australien wollte sie bei sich aufnehmen. Warum habt ihr euch für den PS.SPEICHER als neues zu Hause entschieden?
 
Lukas Hoffmann: Wir haben so viele Angebote und Vorschläge erhalten. Dabei wurde besonders häufig der PS.SPEICHER genannt. Es gab auch gute Angebote wie du eben schon sagtest, aus Australien und auch aus Rumänien, aus interessanten Locations in ganze Deutschland. Wir fanden den PS.SPEICHER attraktiv für unsere Tigerente. Uns gefiel der Gedanke, dass sie neben so vielen tollen Autos steht. Dann kam ein sehr netter Kontakt mit dem PS.SPEICHER zustande und damit war die Entscheidung gefallen.
 
Frage: Bei ihrer Ankunft im PS.SPEICHER hat unser Stifter Karl-Heinz Rehkopf "Ich verstehe, dass er im PS.Speicher stehen möchte" auf die Ente geschrieben. Haben du oder deine Freunde zum Abschied eine Botschaft auf der Karosserie hinterlassen?
 
Lukas Hoffmann: Wir haben keine Botschaft hinterlassen.
 
Frage: Warum nicht?
 
Lukas Hoffmann: Mit Abschiedsworten würden wir die Ente bestatten. Aber sie lebt weiter in meinem Roman „Wodka und Tigerente“. Sie ist zu Kunst geworden und damit unsterblich.